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Bayreuth, Kunstverein im Städtischen Museum Bayreuth
Gudrun Schüler: Laudatio
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"Anne-Katrin Altwein sprüht über von Ideen – sie lebt ihre Kunst.
Ihr Werk umfasst neben umfangreichen bildhauerischen Arbeiten aus Stein, Bronze und Keramik auch ein großes grafisches Repertoire. Mit einer Computeranimation – sie nennt es skulpturale 3D-Echtzeit-Grafik zum Thema Liszt und Synaesthesie habe ich sie bei einem Symposium im Burgenland kennengelernt. Der Ursprung dieser Grafik liegt in den bröckelnden Wänden der Altenburg, dem Haus in dem Franz Liszt von 1848 bis 1861 in Weimar lebte. AK Altwein lebte bis vor wenigen Wochen selbst in diesem geschichtsträchtigen Gemäuer und wurde durch die Liszt’sche Aura dort immer wieder aufs Neue inspiriert.
Auszüge aus ihrer Vita:
Anne-Katrin Altwein absolvierte die Hochschule für Kunst und Design
in Halle/ Burg Giebichenstein mit Diplom.
1986 erwarb sie ein Wirtschaftspatent am Bauhaus Dessau,
noch vor der Wende arbeitete sie als Grafikdesignerin im VEB (dem volkseigenen Betrieb) und machte sich noch im April 1989 selbständig.
2001 bekam sie einen Lehrauftrag „Visualisierung“ an der Hochschule für Musik, Franz Liszt in Weimar
Sie gewann bis jetzt bereits fünf Wettbewerbe bei Kunst im öffentlichen Raum.
Ihre Bronzeplastiken und Marmorskulpturen sind an mehr als 8 Plätzen zu finden:
am Schloss in Weimar, in Halle, Apolda, Jena und Sömmerda.
In Erfurt auf der EGA, der dortigen Gartenschau steht noch bis Ende Oktober ihre 3,30 m hohe Europa – die Frau mit der weiten Sicht, sowie die Bronzegruppe der Suchenden.
Zahlreiche Stipendien und Studienreisen führten sie unter anderem nach
Brasilien, Paraguay, Argentinien, Schweden, Mexico, Paris, Genf, Kroatien, ins Trentino nach Italien und nach Bergen in Norwegen.
Da Nang in Vietnam ist ihr ein wichtiger Ort, an den sie immer wieder zurückkehrt –
wegen der Menschen und der dortigen Marmorvorkommen.
Mit Unterstützung der Thüringer Staatskanzlei drehte sie 2007-2008 den Film „Hogkburgh - Bocckiade, die weiblichen Angelegenheiten betreffend“. Die Handlung spielt in der Altenburg, dem Wohnort von Franz Liszt und dem Haus in dem auch sie 11 Jahre ihres Lebens verbrachte.
2009 hatte sie eine Einzelausstellung im Thüringer Landtag,
ebenso 2009 beteiligte sie sich bei der BIENNALE IN VENEDIG mit Dreaming Europe im Palazzo Albrizzi.
2009 und 2011 bekam sie eine Einladung Österreichs zum Symposium EU-ART-NETWORK
Die 2011 entstandene Videoarbeit STAR CULT LIGHT II beteiligt sich an der zur Zeit stattfindenden Tour d'Europe.
neben Stationen in Eisenstadt, Budapest, Weimar, Bratislava, Leipzig, London und Luxembourg machte sie auch Station in der Ausstellungshalle des Neuen Rathauses in Bayreuth.
Seit 3 Monaten lebt sie in Ivenack in Mecklenburg-Vorpommern, neben dem ältesten Eichenhain Mitteleuropas.
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Klingende Knochen - Bayreuther Constellation
Wir stehen vor einem Kubus.
Darin eingepasst – die „Klingenden Knochen“
Wir meinen, Kreaturen wahrzunehmen – eine Hinschmelzende, einen Hund oder ist es doch ein Vogel? Jemanden der Kontakt sucht und ein stumm Abwartender.
Klingende Knochen scheint uns als Titel zunächst erst einmal interessant.
So etwas klingt nach einer interessanten Geschichte,
wenn auch ein klein wenig makaber.
Knochen sind ja Überbleibsel von einst Lebendem.
Wie eine Archäologin hat Altwein diese wie ausgegraben wirkenden Stücke - sind es eigentlich Knochen? – geformt.
Es sind Röhren, oft geöffnete, gerollte, ganz so, als wollte sie die Schöpfung noch einmal wiederholen oder wenigstens nachvollziehen.
Was vor uns war und vor uns liegt: Einpassen.
Wir wollen sie zum Klingen bringen,
die Knochen, die Röhren, die Formen,
die manchem, der genauer hinsieht, vorkommen könnten wie beseelte Wesen,
ein wenig fixiert, ein wenig lose, in einer Bewegung verharrend
und auch wieder nicht,
starr und doch beweglicher, als man denkt.
Mancher will sie vermutlich zum Schwingen und Klingen bringen, auch wenn sie möglicherweise dabei kaputt gehen könnten.
Aber Altwein lässt uns nicht so richtig ran.
Ihre Knochen sind keine Knochen und sie hängen in einer Absperrung, über dessen Rand sie nicht hinauskönnen, eingehängt und begrenzt.
Das Set wirkt dadurch fast etwas hilflos und steif und vielleicht kommt man nicht umhin, es nicht ganz sympathisch zu finden.
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Das meiste, was man wahrnimmt, stammt aus dem Gedächtnis.
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Wer wollte das nicht, dass alles wieder klingt,
Morbides nicht mehr nur übrig bleibt als einziges und schweigt.
Klingen, dahinter verbirgt sich in unserem Denken und Fühlen meist etwas Angenehmes.
Es soll uns mehr sagen und bestechend schön vielleicht.
Es soll berichten und tönen und klingen und unseren Sehnsüchten eine Harmonie und ein Gerüst geben.
Klingende Knochen sind in unserem Denken also die Erwartung, sich mit Altem, Verborgenem, Geheimen, Vorfahrigen einzuschwingen.
Böses, Dunkles möge verschwinden.
Was hat das nun mit Liszt zu tun?
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Daj mi daj – tönt es bisweilen beim Umrunden des Konstrukts.
Eine uralte kroatische Weise, aus den Zeiten Maria Theresias,
Ein Stück Volkslied und bestimmt die Urmasse, aus der Franz Liszt webte.
Er wuchs in Deutschungarn auf, einer Gegend, in der die kroatische Tradition bis heute durch die dort eingebürgerten Immigranten in ihrer Urform erhalten und gepflegt wird.
„Daj mi daj, gib mir gib mir deine Liebe, ich schreibe dir auch einen Brief, lass uns an den Strand gehen, die Nacht ist kurz“
Gesungen von Männern, ist es ein Stück, was uns beim Umrunden des Konstrukts ab und an begegnet, aber nur, wenn wir uns selbst bewegen, etwas dafür tun.
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Liszt in Weimar, das will man sich gern vorstellen.
Eine Tonkonserve des heutigen Weimar, aufgenommen in den Räumen, wo er wohnte von 1848-1861, zeigt ein Zuviel an Störung, eine laute Straße, Ballgeräusche usw. und es stellt sich die Frage, wo überhaupt Erfinden und Spezialisieren noch möglich ist.
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10 Jahre braucht es oder 10.000 Stunden Beschäftigen mit etwas, dann kann man seine bis dahin geschulten Gaben an der Weltspitze sehen.
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Wieviel muss man tun, um eine Eigenständigkeit zu entwickeln, bis man,
wie Kant so schön formulierte, "in die Welt passt"?,
Immer wieder wird man ja auch gestört, zum Beispiel durch zu viele Menschen, durch zu viel Stadt, durch zu viele fremde Wünsche von außen oder aus uns selbst, durch zu viel Methode.
Zu wenig an Einkehr ist manchmal möglich.
Nach seinen bewegten Wanderjahren als reisender Virtuose innerhalb Europas suchte Liszt nun die Ruhe einer Kleinstadt, um sich intensiver als bisher der kompositorischen Arbeit widmen zu können. Während dieser Zeit entwickelte er den Typus der symphonischen Dichtung.
Das künstlerische und kulturpolitische Engagement Liszts, aber auch die gesellschaftliche Ausstrahlung seiner adeligen Freundin Fürstin Carolyne von Sayn-Wittgenstein machten die Altenburg zu einer Begegnungsstätte von Intellektuellen und Künstlern aller Sparten aus vielen Ländern Europas.
Wagner, Berlioz, Brahms, der Architekt Semper oder die Dichter Hebbel und Hoffmann von Fallersleben waren nur einige der Besucher Liszts und Carolynes auf der Altenburg.
Viele der Innovationen Liszts und seines Kreises stießen bei den konservativen Weimarer Bürgern auf Unverständnis, ja sogar auf heftige Ablehnung.
Im "Neu-Weimar-Verein" unter der Federführung Liszts und Hoffmanns von Fallersleben entwickelte der Altenburg-Kreis schließlich sein Plädoyer für das
Neue in der Kunst. Seine Wirkung erzielte der "Neu-Weimar-Verein" jedoch eher außer- als innerhalb der Stadtgrenzen.
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Ich zitiere die Künstlerin:
„Eigenes muss auch gelernt werden und ein Raum für künftige Generationen ist notwendig. Etwas, wo man sich entfalten könnte, raus aus dem Gestell, sich frei bewegen, intrinsische Motivationen.
Tun, das Tun, das von innen kommt, was quasi seine Belohnung in sich selbst trägt. Durch Tun und Machen sich selbst überraschen können, statt Konsumieren, Verkonsumieren.“
Diesem Gedanken geht der dritte Musikteil nach, denn er ist aus einem Film entnommen, den Altwein, inspiriert von den ehemals Liszt’schen Räumen in der Altenburg anfertigte:
Ein junger Mann, eigentlich auf Fotosession, er soll ein Buch machen, Wohnen im Denkmal, gerät dabei in alte Räume, vornehmlich in einen mit alten Wandmalereien. Er ist fasziniert, wie gebannt, hat kaum andre Wünsche, als immer nur diesen Raum zu betreten, bald macht er es heimlich, aber sehr obsessiv.
Hier beginnt er dann zu schreiben, das heißt, es schreibt mit ihm, kaum dass er den Raum betritt, kommt er kaum nach mit dem Mitschreiben seines plötzlich eintretenden Strom der Bewusstheit.
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Anne Katrin-Altwein fordert uns auf, dem Klang nachzuspüren –
ausgehend von Liszts Kindheit, seinen akustischen Ursprüngen, begleitet sie uns mit ihrer Installation in die Atmosphäre der Altenburg.
ZitatAnne-Katrin Altwein:
Dem Besucher wird das Wort erteilt.
An ihm liegt es scheinbar, das System aus Teilen,
was sich uns schon recht belebt darbietet -
sich bemühende Kreaturen, schüchtern, oder fröhlich -
zum Klingen zu bringen, zu bewegen…
Jedoch, letztendlich ist es der Besucher selbst,
der beim neuen Klang seiner Stimme bewegt wird,
Spaß bekommt im Modulieren,
das Resultat nicht mehr achtend…
Die Transzendenz, die einer beim Tun von
Kopf + Körper empfinden kann.
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Unser Forscherdrang wird weiter herausgefordert, wenn wir uns der halbgeöffneten Türe des Wandschrankes nähern.
Darin säuberlich aufgereiht und etikettiert finden wir amorphe Kreaturen mit
merkwürdigen schlauchförmigen Öffnungen –
Tast- oder Saugorgane??
Und die kleine Frau in Bronze, uns noch abgewandt aber locker vom Stand- aufs Spielbein wechselnd, scheint nur darauf zu warten, dass wir Kontakt mit ihr aufnehmen.
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Kreaturen im Dialog
Die grafischen Tuschearbeiten, die ihre bildhauerische Bayreuther Constellation hier ergänzen, stehen stellvertretend für das Hauptanliegen der Künstlerin.
Bestehende Konstrukte unseres Miteinander-Umgehens.
Knapp sieben Milliarden Menschen, und wo man Vielfalt erwartet und erhofft, sucht man verzweifelt das Spezielle, Spezifische, das Besondere.
Entdecken Sie das Besondere auch ab nächster Woche in Erfurt, wo Anne-Katrin Altwein ihre nächste Ausstellung zum Thema
"Heute schon Freunde gemacht oder Sozialneid entfacht?"
eröffnet.
Jetzt lade ich Sie ein, in unserem Kabinettraum gemeinsam mit der Künstlerin ihre interaktive Installation zu entdecken."
Bayreuth, 2. Oktober 2011
Gudrun Schüler mit Textauszügen von Anne-Katrin Altwein
Gudrun Schüler www.gudrun-schueler-art.de
Aktualisiert: Anne-Katrin Altwein, 5 Januar, 2012